„Saarbrücken, Anfang 1997, Samstag Mittag, 12:37 Uhr.
Mittagessen. Es gibt Suppe. Bevor ich überhaupt am Tisch sitze, bin ich bereits nervös.
Ich sitze in meinem Kinderzimmer. Meine Gedanken kreisen sich nur um diese komischen Geräusche, die mein Vater mit seinen Zähnen beim Kauen macht.
Ich ahne bereits, was auf mich zukommt. „Schon wieder diese Geräusche, die mich so wütend machen“ denke ich.
Diese Geräusche, die ich hasse, sind nicht sonderlich laut, rufen in mir aber den ‚Hulk’ hervor. Zwar nicht die körperliche Statur von Hulk, die blanke Wut und auch die grüne Farbe sehr wohl, weil mir richtig schlecht ist.
Es reicht alleine schon die Erwartung, diese Geräusche wieder hören zu müssen, dass ich unruhig, nervös, ja sogar panisch werde.
Mir ist schlecht. Ich bin hungrig. Ich will nichts essen, obwohl es meine Lieblingssuppe gibt.
„Essen ist fertig!“ ruft meine Mutter die Treppe hoch.
Sollte ich nicht voller Vorfreude auf das leckere Essen und die gemeinsame Zeit mit meiner Familie aus der Hose springen?
Nein, nicht als Misophoniker.
Ich habe Panik und weiß, dass es unangenehm wird. Gelinde gesagt. Ich atme tief ein, weil ich weiß, was mir blüht. Der Horror geht wieder los.
Ich drücke bei ‚Mario Kart’ auf Pause und lege den Super Nintendo Controller beiseite.
Die Treppe in meinem Elternhaus an der Hauptstraße in einem Saarbrücker Vorort laufe ich langsam herunter, um die gemeinsame Essenszeit mit meiner Familie auf ein notwendiges Übel zu verkürzen.
Wir sind zu viert: Mama, Papa, meine Schwester und ich. Auf die Kaugeräusche von Mama und meiner Schwester reagiere ich nicht.
Sie stören mich nicht im Geringsten.
Das Kauen meines Vaters ist das, was in solchen Momenten aus mir einen Menschen macht, der ich nicht sein will. Hulk.
Aggressiv.
Wütend.
Launisch.
Nervös.
Getrieben.
Gestresst.
Ich werde zu jemandem, mit dem man nicht gemeinsam essen möchte. Wobei ich doch sonst ein netter und hilfsbereiter, selbstloser Junge bin, der in seinem Fußballverein viele Freunde gefunden hat.
Ich setze mich neben meinen Vater. Er sitzt rechts von mir, über Eck. An diesem Essenstisch spielen sich für mich unerträgliche Szenen ab.
Täglich.
Es geht los.
Ich schlinge mein Essen, um schnellstmöglich vom Essenstisch aufstehen zu können.
Mir wird noch viel schlechter.
Klapper. Klapper. Klapper.
Dieses dumpfe Geräusch, wenn mein Vater seine Suppe kaut. Mit jedem Klappern kriege ich einen weiteren Stich in meine Brust.
Mir ist heiß.
Ich will weg, einfach nur weg.
Ich beginne zu brodeln.
Klapper. Klapper. Klapper.
Ich werde immer wütender. Es fühlt sich so an, als würde jedes weitere Geräusch meinen Körper zunehmend verkrampfen.
Mit jedem Klappern verschlimmern sich meine Gedanken.“
Fühlst du diese Beschreibung? Misophonie fühlt sich so an, als würden bestimmte Geräusche einen Aggressionsknopf im Kopf drücken.
Es gibt einen Weg raus aus der Wutwelle. Es gibt Wege, wie du nicht in die Wutwelle gerätst, sodass du ein normales Leben führen kannst.
Der Ratgeber aus der Feder eines Betroffenen verrät dir, wie du mit Misophonie im Alltag umgehen kannst.
Du wirst nicht mehr schlagartig wütend.
Du bist in der Lage, am normalen Leben teilzuhaben.